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   Wie geht Waldbaden?
 Waldbaden ist der Versuch einer Übersetzung des japa- nischen Ausdrucks „shinrin yoku“. Gemeint ist mit Wald- baden nicht etwa das Schwim- men und Planschen im Wald, sondern das Eintauchen in diese grüne Welt. Waldbaden bedeutet gewissermaßen, ein wohliges Vollbad in ange- nehmer Waldatmosphäre zu nehmen. Die Sehnsucht nach Ruhe und Natur und damit das Interesse an naturnahen Methoden wie dem in Japan entwickelten „Waldbaden“ wächst bei vielen Menschen, die zunehmend unter Belas- tungen in der Familie und dem Beruf oder ganz allgemein dem Großstadtleben leiden. Diese bereits seit Jahrzehnten erforschte Methode, die nicht nur im Wald, sondern genauso gut in Parks praktiziert werden kann, und deren Wirksamkeit von japanischen Wissenschaft- lern bewiesen wurde, ist schon seit längerer Zeit integrierter Bestandteil des japanischen Gesundheitssystems und erfreut sich inzwischen welt-
weit wachsender Beliebtheit. Genuss steht beim Waldba- den im Vordergrund: Gehen, schlendern, trödeln oder ein- fach an einen Stamm gelehnt im Moos sitzen – wie aktiv Sie im Wald sind, ist egal. Beim Waldbaden brauchen Sie kei- nen Schrittzähler und keinen Fitness-Tracker. Verlassen Sie sich auf Ihre Sinne, folgen Sie ihnen intuitiv.
Schnuppern Sie an Blättern, blinzeln Sie den Sonnen ecken zu, die in den Ästen tanzen oder streichen Sie über eine Baum- rinde. Achten Sie mal darauf, wie trockene Zweige und Tan- nennadeln unter ihren Sohlen knacken oder erlauschen Sie, aus welcher Richtung gerade das Vogelzwitschern kommt. Atmen Sie tief, atmen Sie befreit. Nehmen Sie keine Abkürzung, sondern genie- ßen Sie einen großzügigen Umweg. Denn ein Waldbad hat nur ein Ziel: Ihr eigenes Tut-mir-gut-Gefühl.
 Von alten Bäumen geht ein besonderer Zauber aus. Foto: Carsten Weede
„der Wald als Therapieraum“ und „die Natur als Co-Thera- peutin“ in ihre Arbeit mit ein. Eben deshalb geht sie auch gern mit ihren Klienten raus zu den Bäumen, Büschen und Blumen. Die Beratungen  n- den „naturnah“ im Eichtalpark in Wandsbek, bei Planten un Blomen, im Wohldorfer Wald und im Wildpark Schwar-
ze Berge statt. „Wald tut gut. Wald schützt und gibt Kraft. Für unzählige P anzen und Tiere ist der Wald Lebensraum – für den Menschen ist der Wald ein Raum zum Au eben, Energie atmen, Ruhe fühlen, Entspannung  nden“, sagt die Psychologin.
Seit einigen Jahren sammelt Sabine Witting Forschungs-
berichte zu der aus Japan stammenden Wissenschaft der „forest medicine“ und der daraus entwickelten Methode des „Waldbadens“ (japanisch: Shinrin yoku; siehe Kasten). Das japanische Landwirt- schaftsministerium führte Shinrin yoku schon Anfang der 1980er-Jahre ein und för- derte ein millionenschweres Forschungsprogramm, um die medizinische Wirkung des Waldbadens nachzuweisen. Mittlerweile gibt es in Japan mehrere Zentren für Waldthe- rapie und einige japanische Universitäten bieten inzwi- schen sogar eine fachärztliche Spezialisierung in Waldme- dizin an. „Da ich in der psy-
chologischen Beratung einen ganzheitlichen Ansatz ver- trete, der eine innere Balance des Menschen als Idealzustand anstrebt und die Heilkraft der Natur miteinbezieht, das heißt den Biophilia-Effekt, biete ich besondere Spaziergänge durch den Wald an, die man auch als Waldbaden bezeichnen kann“, sagt Sabine Witting. Für sie steht fest, dass Waldbaden sich positiv auf Gesundheit und Wohlbe nden auswirkt: „Bäu- me anzuschauen, sie auch mal anzufassen, tut uns gut, aber auch das Mikroklima im Wald und die Botenstoffe der Bäume haben einen spürbaren Effekt.“ Im Fokus ihrer Arbeit stehe immer die Hilfe zur Selbst-
  Der Blick in die Krone einer mächtigen Buche eröffnet manchmal ganz neue Perspektiven. Foto: Carsten Weede
  Frühjahr 2020
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